Hinweise zu einer Haltungs- und Bewegungslehre für Gitarristen

Der folgende Aufsatz beschäftigt sich eingehend mit verschiedenen Haltungs- und Bewegungsformen.
Ausgehend von einer ergonomischen Grundhaltung werden wichtige Aspekte der Gitarrenhaltung, reich illustriert durch Zeichnungen, veranschaulicht.
Thematisiert wird insbesondere die traditionelle Haltungsvariante mit dem Band. Sie erlaubt wie kaum eine andere Haltung vielfältige Bewegungsformen - im Stehen und Sitzen. Der unmittelbare Zusammenhang von Körper - Instrument - Musik wird in der Bewegung erlebt:
"der ganze Mensch ist in Spiel und Ausdruck einbezogen."


Eine Reihe der vorgestellten Bewegungen können auch mit der Ponticello - Gitarrenstütze ausgeführt werden.



Gliederung:

Teil I
a) Der Mensch im Stehen und Sitzen
b) Instrument und Spieler
c) Musik und Anpassung der Gitarre
d) Hilfsmittel
- Zusammenfassung

Teil II
- Vom Großen zum Kleinen
- Homolog, homolateral, diagonal
- Bewegungen in der Stehhaltung
- Bewegungen in der Sitzhaltung
- Zusammenfassung


Teil I

"Mit seinem ganzen Körper drückt der Mensch sich aus, teilt sich mit: diese Sprache ist die natürlichste, die ursprünglichste und die wesentlichste."


Dieses Zitat des Yogalehrers André van Lysebeth möchte ich als Leitgedanken meiner Betrachtung über Haltung und Bewegung beim Gitarrenspiel voranstellen. Zugleich ist mit diesem Gedanken auch mein Ziel beschrieben, nämlich das Gitarrenspiel mit einer körperlichen Ausdruckssprache zu verbinden bzw. eine solche beim Üben und Musizieren zu entwickeln. Gerade bei klassischen Gitarrenkonzerten fällt mir manchmal auf, dass selbst hervorragende Spieler nur begrenzt von ihren körperlichen Bewegungsmöglichkeiten und somit auch Ausdrucksmöglichkeiten Gebrauch machen. Die Kommunikation mit dem Publikum findet dadurch nur sehr eingeschränkt statt oder kommt erst gar nicht zustande.

Verglichen mit Gitarristen aus dem Popularmusikbereich, die häufig sehr expressive und spontane Bewegungsformen beim Spielen kultiviert haben, tut sich der "Klassikgitarrist" oft schwer, seine Musik mit Bewegung zu bereichern und zu unterstützen. Gründe hierfür sind sicherlich die komplexe Technik der klassischen Gitarre sowie häufig bewegungshemmende Grundhaltungen. Um ein Spiel in Bewegung zu erlernen, sollte man nicht nur an ein möglichst ungestörtes Funktionieren des Spielapparats der Hände und Arme denken, sondern vielmehr den ganzen Körper von seinem Schwerpunkt aus einbeziehen. Voraussetzung für den ganzen Körper einbeziehende Bewegungsformen ist zunächst einmal eine Optimierung der Grundhaltung, die sich aus folgenden Punkten definiert:

a) Mensch, b) Instrument, c) Musik, d) Hilfsmittel.
Um eine den individuellen Bedürfnissen entsprechende Haltung zu entwickeln, sind diese Punkte in Verbindung zu bringen und abzuwägen.


a) Der Mensch im Stehen und Sitzen

Ausgehend von der menschlichen Physiologie, die sich insbesondere durch die Fähigkeit um aufrechten Gang charakterisiert, steht für das Entwickeln einer eigenen Haltungs- und Bewegungsform das Erfahren des natürlichen Stehens und Sitzens ohne Instrument an erster Stelle. Im Stehen trägt das bewegliche Fundament der Fuß-, Knie- und Hüftgelenke den Rumpf. Diese Beweglichkeit kann durch die Vorstellung eines "Sitzens im Stehen" bewusst gemacht werden. Es ist zu vermeiden, dass die Kniegelenke "einrasten" und damit den Körper zwar in eine aufrechte, aber doch starre und bewegungsblockierende Haltung zwingen. Vielmehr sollte sich das Gewicht nach unten verlagern, wobei die Kniegelenke nachgeben und leicht gebeugt werden. So befindet sich der Körperschwerpunkt in der Mitte des Bauchraums, der Rumpf bleibt beweglich und anpassungsfähig. Eine gedachte Linie der Körperachse verbindet das Zentrum des Ohrs mit Schulter, Hüfte und Fuß.

Diese Punkte stehen in Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Verändert sich zum Beispiel die Lage der Hüfte zur Achsenlinie, so wird auch die Schulterpartie als Folge eines Ausbalancierens ihre Lage verändern. Stehen die Punkte übereinander, ist eine stabile, aber auch dynamische Statik gegeben (Abb. 1).
Abb. 1

Ist im Stehen eine gute Balance fast von selbst vorhanden, ändert sich dies schon beträchtlich im Sitzen. Das bewegliche Fundament der Fuß- und Kniegelenke kann nicht mehr zum Ausbalancieren genutzt werden. Das Fundament bildet im Sitzen jetzt das Becken in Verbindung mit den Hüftgelenken. Der Schwerpunkt verlagert sich nach hinten, eine aktive Spannung der unteren Rücken- und Beckenmuskulatur ist notwendig, um die günstige Statik, wie sie im Stehen bestand, zu erhalten (Abb. 2).
Abb. 2

Diese Anspannung ist natürlich auf Dauer anstrengend, sofern sie nicht durch Bewegung abgelöst wird.


Eine individuelle Höhenanpassung des Sitzmöbels ist Bedingung für eine gute Statik des Rumpfes. Die Höhe des Stuhls sollte sich nach der Länge der Unterschenkel richten, so dass sich diese ungefähr in einem Winkel von 90° zu den Oberschenkeln befinden. Entspricht der Abstand der Kniegelenke dem der Hüftgelenke, so ist die größtmögliche Beweglichkeit der Becken-/Hüftgelenkverbindung erreicht. Diesen Abstand kann man durch die eigenen nebeneinander gehaltenen Fäuste, zwischen den Knien platziert, bestimmen (Abb. 3).
Abb. 3

Wird der Abstand der Kniegelenke erweitert oder ein Bein nach hinten mit der Fußspitze aufgesetzt, ist die Beweglichkeit des Beckens und des unteren Rückens entsprechend erschwert bzw. eingeschränkt (Abb. 4)
Abb. 4

Als Ausgangs- und Entlastungshaltung ist das Sitzen auf den beiden Sitzknochen zu bevorzugen; aus dieser Position können vielfältige Bewegungen wie Kipp- und Rollbewegungen ausgeführt werden. Voraussetzung für dieses Sitzen ist eine nicht zu weiche, aber auch nicht zu harte, ebene Sitzfläche.
Ist die Stuhlhöhe niedriger als die Länge der Unterschenkel, wird das Becken und die untere Wirbelsäule zu einer Verlagerung nach hinten gezwungen; ein Aufrichten kostet noch mehr Gegenspannung. Auch bei nur einem höhergestellten Bein (Fußbankhaltung) entsteht diese Wirkung.
Zusätzlich versucht der Körper diese einseitige Erhöhung mit dem Verlagern des Gewichts auf nur ein Sitzbein und dem seitlichen Ausweichen des gesamten Rumpfes auszugleichen. Eine zu hohe Sitzfläche senkt die Höhe der Oberschenkel, das Becken kippt nach vorn und das Körpergewicht wird nun mehr auf die Beine übertragen, wobei die Beweglichkeit der Hüftgelenk-/ Beckenverbindung reduziert wird. Die Statik nähert sich mit zunehmender Sitzhöhe der des Stehens an (Stehsitzen). Eine hohe oder niedrige Sitzposition beeinflusst also nicht nur die Höhe der Beine und damit die Auflagehöhe des Instruments, sondern auch die Spannung, Beweglichkeit und Statik des ganzen Körpers.

b) Instrument und Spieler

Ist einmal das natürliche Stehen und Sitzen erlernt, sollte im Idealfall ein in Größe, Form und Klang dem Spieler entsprechendes Instrument ausgewählt werden. Da in Stehhaltungen die Höhenbegrenzung der Gitarre durch die Beine nicht besteht, kann ein zu großes oder zu kleines Instrument besser angepasst werden. Anders sieht es bei den Sitzhaltungen aus, wo, abhängig von der Auflage auf dem linken oder rechten Bein, die Größe der Gitarre entscheidend zu einer guten Haltung beitragen kann. So sind häufig bei Menschen mit langem Oberkörper die Instrumente mit großem Korpus besser geeignet, insbesondere in Verbindung mit der Fußbankhaltung. Die Höherstellung des linken Beins mit Hilfe der Fußbank bringt ein kleines Instrument zumeist nicht auf die gewünschte Spielhöhe (Höhenposition des Instruments beim Spielen). Andererseits können etwas kleinere Gitarren manche Haltung wesentlich erleichtern, wie z.B. Sitzhaltungen mit der Auflage des Instruments auf dem rechten Bein, bei denen eher das Problem einer zu hohen Spielhöhe auftaucht.

c) Musik und Anpassung der Gitarre

Die Ansprüche an die Gitarrenhaltung stehen in engem Zusammenhang mit der Musik, die man spielen möchte. Ein Gitarrist, der überwiegend im Bereich der ersten bis fünften Lage spielt und nur bestimmte Anschlagsarten verwendet, benötigt unter Umständen eine andere Haltung als ein Spieler, der das gesamte Griffbrett ausnutzt und vielfältige Anschlagsarten gebraucht. Was aber beide verbindet, ist die Forderung nach einer ausreichenden Stabilität des Instrumentes ohne aktive Haltearbeit der Hände und Arme. Ist diese Forderung erfüllt, wird nicht nur die erstrebte Bewegungsfreiheit des Spielapparats gewährleistet, sondern auch die Beweglichkeit des ganzen Körpers begünstigt. Ich möchte mich im Folgenden mit Kriterien zum Finden einer Grundhaltung beschäftigen, die den Spieler betreffen, der alle Techniken der klassischen Gitarrenliteratur verwendet, d.h. das gesamte Griffbrett ausnutzt
und verschiedene Anschlagsarten gebraucht.
Ausgehend von der natürlichen Steh- bzw. Sitzhaltung möchte ich einen wichtigen Grundsatz zum Finden der individuellen Grundhaltung herausstellen: das Instrument sollte sich in seiner Position dem Spieler anpassen und nicht umgekehrt. Zum Bestimmen der Höhenposition der Gitarre und der sich daraus ergebenden Spielhöhe dient als Orientierung das Griffbrett, genauer gesagt die ungefähre Mitte des ausgenutzten Spielbereichs zwischen 1. und 12.Bund, also der Bereich um den 6.Bund. Die linke Hand sollte diesen Bereich ohne Anstrengung und ohne Aufgeben der aufrechten Körperhaltung, allein durch Anwinkeln des Arms im Ellbogengelenk erreichen (Abb. 5).
Abb. 5

Abbildung 6 zeigt eine zu niedrige Anpassung, Abbildung 7 die Korrektur.

Abb. 6

Abb. 7

 

 

 

 

 

Kombination Fußbank /
Ponticello - Gitarrenstütze


Beim Angleichen des Instruments an die rechte Hand sollte man, wie schon Fernando Sor in seiner Gitarrenschule beschreibt, ein Drehen des Rumpfes vermeiden, was durch Heranbringen der Gitarre zum rechten Arm erreicht werden kann. Durch Schrägstellen (Abb. 8, Achse A - B) und leichtes Kippen der Gitarre zum Körper kann die Zargenkante überwunden werden.
Abb. 8

Zwar entfernt sich bei dieser Anpassung das Griffbrett vom Körper, was aber durch das Vorbringen des linken Arms ausgeglichen werden kann. Diese Armstellung begünstigt zudem eine "gewichtige", passive Kraftübertragung:
das Eigengewicht des linken Arms wirkt direkt über die gebeugten Fingergelenke und das fixierte Handgelenk auf das Griffbrett (Abb. 9).
Abb. 9 Abb. 10

Mit der Armhaltung von Abbildung 10 würde man diese Gewichtsübertragung nur durch aktives Zurückziehen des Arms erreichen, was häufig auch mit einem Anheben der Schulter einhergeht.
Dem linken Spielapparat stehen außerdem der größere Aktionsraum und damit auch mehr Bewegungsmgöglichkeiten zur Verfügung im Vergleich zu dem räumlich enger begrenzten Anschlagsbereich der rechten Hand. Die Belastung einer etwas weiteren Entfernung des Griffbretts vom Körper kann durch diese Bewegungsmöglichkeiten aufgefangen werden (Bewegungen mit ihren Spannungs- und Entspannungsphasen stellen eine geringe statische Belastung dar).
Als Maßstab für eine Mittenanpassung (Angleichung der Instrumentposition an die Körperlängsachse) der Gitarre an den Körper dient das Höhenverhältnis beider Ellbogengelenke zueinander. Befindet sich die linke Hand in der Mitte des Griffbretts (Unterarm und Handgelenk stehen in einer Linie) und die rechte Hand im Bereich der Saiten zwischen Schalloch und Steg, so sollten sich bei einer ausgewogenen Grundhaltung die Ellbogen auf gleicher Höhe befinden (Abb. 11).
Abb. 11

Gleichzeitig wird durch diese Grundhaltung eine Rechts- bzw. Linksneigung der Wirbelsäule vermieden.


d) Hilfsmittel

Die benötigten Hilfsmittel, die letztendlich eine individuelle Anpassung ermöglichen, gibt es mittlerweile in zahlreichen Varianten. Man sollte bei der Auswahl auf die wirkliche Effektivität achten, so z.B. ob eine dem Körper entsprechende Spielhöhe erreicht werden kann, die Stabilität auch ohne Haltearbeit der Arme besteht und die natürliche Körperhaltung erhalten werden kann. Die Bereitschaft, verschiedene Hilfsmittel auszuprobieren und auch zu kombinieren (Abb. 7 - 18) erscheint mir besonders wichtig für das Entwickeln einer eigenen Grundhaltung und von verschiedenen Bewegungsformen. Ich möchte von den zahlreichen Haltungsmöglichkeiten mit Hilfsmitteln wie Fußbank, Beinstützen, Stativen usw. eine Variante hervorheben, die mir besonders gut zum Erfahren von verschiedenen Bewegungsformen geeignet scheint. Es handelt sich dabei um die Haltung mit dem traditionellen Gitarrenband in Verbindung mit dem von mir entwickelten "Stabilizer" (ein stufenlos verstellbares Haltebändchen zur zusätzlichen Stabilisierung der Gitarre) (Abb. 11/12).

Der Stabilizer

Abb. 11 "Stabilizer"-Befestigung an der Kleidung
Abb. 12 "Stabilizer"-Befestigung und Bandbefestigung am Gitarrenendknopf
(oder alternativ an einem fest sitzenden Saugnapf)

Ist das Gitarrenband gut eingestellt (bei einer Führung des Bandes dicht am Hals vermeidet man, im Gegensatz zum Aufliegen des Bandes auf der Schulter, eine Instabilität der Gitarre bei Bewegungen des linken Schulter-/Armkomplexes, z.B. Lagenwechseln, Abb. 12) und die Schrägstellung (Achse A - B bei Sor, Abb. 8) der Gitarre durch den "Stabilizer" fixiert (Abb. 13), so sind eine stabile Stehhaltung (Abb. 14) und verschiedene Sitzhaltungen möglich (Abb. 15/16).
Abb. 12 Führung des Gitarrenbandes / Vorbringen des linken Arms an das Griffbrett
Abb. 13 Fixierung der Gitarre durch den "Stabilizer"
Abb. 14 stabile Stehhaltung
Abb. 15 Abb. 16 verschiedene Sitzhaltungen
Abb. 17 Kombination Fußbank "Stabilizer"

Bei Sitzhaltungen kann eine Höhen- und Mittenanpassung sowohl mit der Einstellung des Gitarrenbandes/Stabilizers als auch mit der Sitzhöhe, die die Auflagehöhe des Beins beeinflusst, erreicht werden. Die natürliche Sitz- bzw. Stehhaltung kann beibehalten werden, eine Haltearbeit der Arme ist nicht erforderlich (Abb. 15).

Zusammenfassung

Voraussetzung für ein Spiel in und aus der Bewegung ist zunächst die Optimierung der Grundhaltung, die der natürlichen Körperstatik beim Sitzen oder Stehen entsprechen bzw. nahe kommen sollte. Eine solche Grundhaltung ist wenig belastend und dient als Ausgangshaltung für vielfältige Bewegungsformen. Das Instrument sollte sich in seiner Position dem Spieler anpassen, wobei die Stabilität des Instruments auch ohne aktive Haltearbeit von Händen und Armen gewährleistet sein sollte. Ist eine individuelle Grundhaltung gefunden, so ist der Weg zu einem künstlerischen Ausdrucksspiel aus der Bewegung heraus geebnet.


Teil II

Ausgehend von einer natürlichen Steh- bzw. Sitzhaltung und einer ausgewogenen, daran orientierten Grundhaltung mit dem Instrument (wie in Teil I meiner Hinweise beschrieben), möchte ich nun auf Bewegungsmöglichkeiten des Körpers eingehen, die das Gitarrenspiel sowohl technisch erleichternd unterstützen als auch die künstlerische Aussagekraft beim Spielen erhöhen. Ich beschränke mich auf die Beschreibung und Wirkung von Bewegungen, die scheinbar zunächst nichts mit den Bewegungsabläufen des Spielapparates der Arme und Hände zu tun haben.

Vom Großen zum Kleinen


Der menschliche Körper ist in seiner Struktur auf vielfältige Bewegungsmöglichkeiten ausgerichtet:
von der kraftvollen Spring- oder Laufbewegung zu Feinstbewegungen der Fingerspitzen. Große Muskelgruppen befinden sich im Zentrum des Rumpfes, wie zum Beispiel Bauch- und Rückenmuskeln. Zur Peripherie (d.h. nach außen, zu Armen und Beinen hin) verkleinern und verfeinern sich Muskeln und deren Bewegungsmöglichkeiten. Die kraftvolle Bewegung des Zwerchfells pflanzt sich vom Zentrum bis in die die Außenbereiche des Körpers mit einer zunehmend kleiner werdenden Intensität fort (dennoch überall fühlbar als Spannung und Entspannung beim Ein- und Ausatmen). Eine bewusste Steuerung der Bewegungsenergie großer Muskelgruppen in Richtung zu kleinen Muskelgruppen ist beim Erlernen von ökonomischen Bewegungsformen beim Gitarrenspiel von größtem Nutzen. Das Kraftpotential großer Muskeln kann so auf feiner, aber nicht kraftvoller arbeitende Muskeln übertragen werden.


Homolog, homolateral, diagonal

Die Unterscheidung von drei verschiedenen Bewegungsformen erleichtert die Analyse und Bewertung von Bewegungsabläufen:


1) Die homologe Bewegung - der gesamte Körper bewegt sich als eine Einheit durch eine plötzliche Spannung mit folgender Entspannung, z.B. beim Hüpfen aus der Hocke ("Froschbewegung").

2) Die homolaterale Bewegung - eine Körperseite bewegt sich als eine Einheit gleichzeitig im Wechsel mit der anderen, z. B. beim Krabbeln auf dem Boden ("Kamelbewegung"), wobei linkes Bein/linker Arm und rechtes Bein/rechter Arm im Wechsel die Bewegung ausführen.

3) Die diagonale Bewegung - ein Teil des Körpers bewegt sich zusammen mit der diagonal gegenüberliegenden Seite gleichzeitig, im Wechsel mit der entsprechenden, entgegengesetzten Körperpartie, z. B. beim "Baby- Krabbeln" auf dem Boden, wobei sich linkes Bein/rechter Arm
mit rechtem Bein/linkem Arm in der Bewegung abwechseln.

Die drei Bewegungsfomen unterscheiden sich voneinander durch den für ihre Ausführung benötigten Kraftaufwand und ihren Bewegungscharakter. So sind homologe and homolaterale Bewegungen sehr kraftvoll, da sie für kurze Zeit den gesamten Körper bzw. eine Körperseite mobilisieren und dadurch gewichtig wirken. Diagonale Bewegungen sind kraftsparender, da nur immer ein Teil des Körpers mobilisiert wird, während der andere Teil entspannt. Spannungs- und Entspannungsphasen gehen fließend ineinander über, wodurch diese Art der Bewegung auch über einen längeren Zeitraum ohne Ermüdung ausführbar ist. Der Charakter diagonaler Bewegung ist weich and fließend. Alle drei Bewegungsformen, auch in Kombination miteinander, sind beim Gitarrenspiel anwendbar. Die charakteristischen Merkmale der drei Formen bewirken bei einem Spiel in und aus der Bewegung unterschiedliche Ausdrucksergebnisse.

Bewegungen in der Stehhaltung

Beinbewegungen und -stellungen beeinflussen im Stehen die Statik des gesamten Körpers und erzeugen unterschiedliche Körperspannungen. Im Stehen kann man besonders gut das elementare Körpergefühl von schwer und leicht erfahren. Ein Schweregefühl wird empfunden, wenn die Schwerkraft stärker auf den Körper bzw. einzelne Teile wirkt. Dies geschieht immer dann, wenn aus einer ausbalancierten Stellung heraus sich der gesamte Körper oder auch nur Körperteile dem Boden nähern. Ein Nachgeben bzw. Beugen der Kniegelenke macht den Körper schwerer, ein Strecken leichter (Abb. 1/2).
Abb. 1 Abb. 2

(Der Schwer-/Leichtzustand ist nicht nur ein Körpergefühl, sondern kann auch durch einen Hebetest mit Hilfe einer zweiten Person aufgezeigt werden – s. Abb. 3/4 -, das Anheben aus der Position mit gebeugten Knien ist wesentlich schwerer als aus der Position mit gestreckten Knien).

Abb. 3 Abb. 4

Das Spielen von schweren Noten bzw. Taktzeiten kann durch die Beugebewegung der Knie auf natürliche und ungezwungene Weise erreicht werden. Man gebe in den Knien nach und schlage auf dem tiefsten Punkt der Bewegung eine leere Saite an; dann den gleichen Ton ohne die Beugebewegung. Die unterschiedliche Qualität des Tones mit und ohne Kniebewegung wird sofort hörbar sein.
Eine Folge von schweren und leichten Tönen entsteht bei einer kontinuierlichen Beuge- und Streckbewegung, wobei der schwere Ton beim Anschlag in der tiefen, gebeugten Position entsteht, der leichte Ton beim Anschlag in der hohen Position bzw. Streckphase. Diese Beuge-Streckbewegung ist sehr kraftvoll, aber auch, als homologe Bewegungsform, kraftraubend, wenn sie über einen längeren Zeitraum ausgeführt wird (man vergrößere die Bewegung einmal zum Hüpfen und bewege sich eine Zeitlang so fort). Verteilt man das Beugen und Strecken auf beide Beine im Wechsel, so entsteht zumeist eine diagonale Bewegungsform, d.h. der Körper balanciert die einseitig veränderte Statik aus (Abb. 5/6):
Abb. 5 Abb. 6

belastet und beugt man z.B. das linke Knie, so gleicht die die rechte Körperseite aus (Abb. 6, gedachte Linie linkes Knie/rechte Schulter). An dieser Ausgleichsbewegung sind im wesentlichen auch die Hüftgelenke und das Becken beteiligt. Das abwechselnde Beugen und Strecken bekommt nun einen weicheren Charakter, hohe und tiefe Position gehen fließender ineinander über. Eine gebundene, auf- und abwärts gerichtete Tonreihe kann mit dieser diagonalen Bewegung an Ausdrucksstärke gewinnen. Die Schwerpunkte der Tonreihe fallen dann mit dem größten Gewicht auf dem linken bzw. rechten Bein zusammen (Notenbeispiel 1),


Drehbewegungen des Rumpfes erweitern und verstärken die Wechselbewegungen der Beine. Ist das linke Bein belastet, dreht sich der Oberkörper nach rechts, ist das rechte Bein belastet, findet eine Drehung nach links statt (Abb. 7/8).
Abb. 7   Abb. 8

Die homolaterale Komponente der Drehung verleiht der Bewegungsabfolge mehr Schwung und Gewicht, so dass auch eine musikalisch stärkere Aussage entsteht. Die gleiche Tonreihe (Nb. 1) bekommt, wenn sie mit der Bewegung kombiniert wird, eine verstärkte Dynamik und Zielgerichtetheit. Achtet man auf das Gewicht beider Arme und Hände und die damit zusammenhängende Intensität beim Anschlag und beim Greifen, so wird man feststellen, dass die Drehung nach links die Greifintensität der linken Hand verstärkt und entsprechend bei einer Rechtsdrehung die Anschlagsintensität wächst.
Die gezielte Kraftübertragung von den großen Körperpartien (Beine, Rumpf) zu den kleineren (Arme, Hände, Finger) wird spürbar und auch hörbar. Weitere Bewegungen mit Ursprung aus dem Hüftgelenk-/Beckenbereich sind das Vor- und Zurückschaukeln, wobei der Oberkörper jeweils entgegengesetzt nach hinten und vorne ausgleicht (Abb. 9/10).
Abb. 9 Abb. 10

Die Übertragungsenergie ändert sich auch bei dieser Bewegung während der verschiedenen Phasen und steuert so den musikalischen Ausdrucksgehalt. Vor-, zurück- und seitliches Ausweichen der Hüften, verbunden zu einer kreisförmigen Bewegungsabfolge, ergeben das so genannte Hüftrollen (Abb. 11).
Abb. 11

Kreisbewegungen sind besonders gut geeignet, musikalische Bögen und Phrasen zu verdeutlichen und zu verbinden. Der diagonale Bewegungscharakter und die quasi "Unendlichkeit" des Kreises machen eine Koordination von Bewegung und Spiel leicht. Die beschriebenen Bewegungen und Bewegungsabfolgen lassen sich auf mannigfaltige Art kombinieren und erweitern. Tempo und Größe der Ausführungen lassen sich entsprechend zu dem Inhalt eines Stückes variieren. Abhängig von der Wahl der Hilfsmittel beim Spielen im Stehen (z.B. Bandhaltung/Stabilizer oder Haltung mit dem Stehstativ) ergeben sich Einschränkungen, aber auch Erweiterungen der Bewegungsmöglichkeiten und ihrer Auswirkungen auf das Gitarrenspiel. Die fixierte, vom Körper relativ unabhängige Position der Gitarre mit Stehstativ ermöglicht z.B. bei der Hoch-/Tiefbewegung der Knie (Abb. 12/13) eine Führung des linken Arm-/Handkomplexes bei Lagenwechseln. Auch ist die Kraftübertragung durch die hohe Stabilität der Stativhaltung bei vielen Bewegungen besser als bei der Bandhaltung. Andererseits ist bei letzterer die Körper-/Instrumentverbindung stärker; durch das Mitgehen der Gitarre mit dem Körper können freiere und größere Bewegungen ausgeführt werden.
Abb. 12 Abb. 13


Bewegungen in der Sitzhaltung

Rumpfbewegungen im Stehen sind zumeist Folge von Beinbewegungen, mit der Absicht, diese auszugleichen und so eine sichere Balance zu schaffen. Im Sitzen hingegen bewirkt die Höhenfixierung des Beckens durch den Stuhl eine Entlastung des Oberkörpers und der gesamten Wirbelsäule. Die Wirbelsäule ist nun freier für ihre vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten; die ruhiggestellten Beine in Verbindung mit den Hüftgelenken und dem Becken bilden ein stabiles und zugleich dynamisches Fundament. Kippt man das Becken nach hinten, rundet sich als Folge dieser Bewegung die untere Wirbelsäule (Abb. 15). Ein Vorkippen des Beckens richtet die Wirbelsäule wieder auf (Abb. 14).
Abb. 14 Abb.15

Diese Hoch-/Tiefbewegung der Wirbelsäule, als Folge der Kippbewegung des Beckens, erzeugt ein Schwer-/Leichtgefühl, wie wir es bereits beim Beugen und Strecken der Knie im Stehen kennengelernt haben. Schwere und leichte Töne können so aus der Bewegung heraus erzeugt und verdeutlicht werden. Das Aufliegen auf dem rechten/linken Bein bzw. auf beiden Beinen, je nach Art der Sitzhaltung und der Hilfsmittel, stabilisiert die Gitarre, und das Gewicht der Arme kann sich besser auf das Instrument übertragen.
Man halte einmal die Finger der linken Hand dicht über den Saiten in der Mitte des Griffbretts bei aufrechter Körperhaltung und kippe dann im Becken nach hinten (Abb. 14 - 17).
Abb. 16 Abb. 17
Die Finger werden, ohne selbst aktiv zu werden, auf die Saiten gedrückt. Beim Aufrichten reduziert sich das auf das Griffbrett wirkende Armgewicht wieder, und die Finger lösen sich von den Saiten. Ähnlich verhält es sich mit der Zu- und Abnahme von Gewicht auf die rechte Hand.
Das Nachgeben und Aufrichten aus dem Becken heraus kann sehr fein abgestuft werden, von einer großen, dramatischen zu einer kleinen, kaum merklichen Bewegung. Erfolgt das Zurück- und Vorkippen rasch hintereinander, werden die Bewegungen als eine Bewegung wahrgenommen (vergleichbar einem Gummiball, der auf den Boden geworfen wird und von alleine wieder zurückspringt). Dieses Abfedern setzt im musikalischen Spiel Impulse und Akzente, ist sozusagen eine Impulsbewegung, die man gleichzeitig mit einem Anschlag ausführen kann, aber auch davor oder zwischen den Anschlägen. Man spiele als Beispiel einmal die Folge von punktierten Noten mit der Impulsbewegung zwischen den Tönen (auf der vollen Zählzeit, Nr. 2)
und danach die gleiche Tonfolge ohne diese Bewegung. Ein Unterschied in der rhythmischen Lebendigkeit wird auffallen. Homologe und homolaterale Bewegungsformen eignen sich besonders gut für eine Ausführung als Impulsbewegung. Sie sind schnell ausführbar und mobilisieren in kurzer Zeit viel Körpergewicht. Das Geben von genauen, eindeutigen musikalischen Einsätzen ist ein weites Anwendungsgebiet dieser Impulsbewegungen (z.B. bei dem oben genannten Beispiel der punktierten Tonreihe mit einem kleinen Einsatz für den jeweils folgenden Ton).

Bleibt die Wirbelsäule fixiert, d.h. aufrecht, bringt eine Beckenbewegung den gesamten Rumpf nach vorne, hinten oder zur Seite (Abb. 18 - 23)
Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20

Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23

Das Vorbringen des Rumpfes bewirkt eine Zunahme von Gewicht auf das Instrument, das Zurücklehnen eine Reduzierung.
Als Wechselbewegung (vor und zurück) ausgeführt, kann z.B. ein dynamisches An- und Abschwellen über einen kurzen Zeitraum verstärkt werden     (Nr. 3).

Das Zurücklehnen dient auch als Entspannungsbewegung, z.B. bei musikalischen Einschnitten zwischen zwei Teilen oder nach dem Ende eines Stückes. Bei einer auslaufenden, decrescierenden Linie stellt sich mit dem Zurücklehnen auch eine stärkere "morendo"-Wirkung ein. Die seitliche Rumpfbewegung kann sowohl als homolaterale Bewegung ausgeführt werden (Abb. 20/21)
Abb. 20
(z.B. Ausweichen nach links mit gleichzeitigem Belasten des linken Beins, Abb. 21),
Abb. 21

aber auch als diagonale Bewegung (Abb. 22/23).

Abb. 22   Abb.23

Bei der homolateralen Ausführung fällt das Wechseln der Bewegungsrichtung etwas schwer bzw. es muss dafür mehr Kraft und Zeit aufgebracht werden. In dem auf diese Bewegung bezogenen Notenbeispiel (Nr. 4) steht an der Stelle des Richtungswechsels eine kurze Fermate.



Die diagonale Form dieser Wechselbewegung von einer Seite zur anderen ist durch das Gegengewicht des jeweils belasteten Beins besser ausbalanciert und in den Bewegungsübergängen weicher und fließender gegenüber der homolateralen Variante. Ein der diagonalen Bewegungsform zugeordnetes Notenbeispiel zeigt Nr. 5

Verbindet sich die Seiten-, Vor- und Zurückbewegung des Rumpfes zu einer Bewegungsabfolge, so erhält man eine Kreisbewegung (Abb. 24), die vergleichbar mit dem Hüftrollen im Stehen ist.
Abb. 24
Diese Kreisbewegung entspricht der diagonalen Bewegungsform und eignet sich, langsam ausgeführt, für die Verdeutlichung von längeren Phrasen und musikalischen Perioden. Diagonale Bewegungsformen können auch als Impulsbewegungen ausgeführt werden, z.B. als Einsatz für einen weich zu spielenden Ton. Führt man die Kreisbewegung schnell aus und schlägt auf dem größten Schwerpunkt der Bewegung (beim Vorkommen des Rumpfes) eine Saite an, so erklingt ein weich einschwingender Ton. Der Ursprung von Drehbewegungen des Rumpfes findet sich in der unteren und mittleren Wirbelsäule. Mit diesen Bewegungen kann gezielt die Kraft der linken bzw. rechten Hand verstärkt werden (Abb. 25/26)
Abb. 25 Abb.26
und es können beim Spielen Schwerpunkte und Akzente gesetzt werden.
Als Beispiel einer Bewegung aus dem mittleren und oberen Bereich der Wirbelsäule sei hier das seitliche Ausweichen der Wirbelsäule in Höhe der Schulterblätter genannt (Abb. 27/28).
Abb. 27  Abb.28

Diese Bewegung bewirkt eine direkte Führung des Schulter-/Arm-/Handkomplexes und kann z.B. für einen geschmeidigen Lagenwechsel von einer hohen zu einer tiefen Lage verwendet werden (seitliches Ausweichen nach links, Abb. 27) oder für einen kontrollierten Registerwechsel vom Schalloch zum Steg (seitliches Ausweichen nach rechts, Abb. 28). Bewegungen der oberen Wirbelsäule, der Schultern und des Kopfes in Verbindung mit den schon beschriebenen Bewegungen, können diese in ihrer Wirkung auf das Gitarrenspiel noch verstärken. Fehlt hingegen z.B. beim Kopfnicken der Impuls aus dem Becken und der unteren Wirbelsäule, hat das zwar eine optische Wirkung, nicht so sehr aber eine energetische im Sinne einer Unterstützung des Spielapparats.
Hoch-/Tiefbewegungen (wie das Einsinken und Aufrichten des Rumpfes), Neige- und Drehbewegungen haben neben ihrem Einfluss auf das musikalische Spielergebnis auch die Eigenschaft, bestimmte technische Schwierigkeiten überwinden zu helfen. Für das sichere Führen des linken Arms und der linken Hand bei großen Lagenwechseln eignet sich sehr gut die Hoch-/Tiefbewegung (Abb. 29/30).
Abb. 29  Abb. 30
Gibt man der Einsinkbewegung bis zur Halswirbelsäule nach bis zum Aufsetzen des Kinns auf der Zarge (Abb. 31),
Abb. 31
wird das Greifen von Tönen über die XII. Lage hinaus wesentlich erleichtert. Das Drehen nach rechts, auch in Verbindung mit einem seitlichen Neigen, bringt den linken Arm und die linke Hand mehr in den Bereich der Basssaiten (Abb. 33),
Abb. 33 

das Zurückdrehen in den Bereich der Diskantsaiten (Abb. 32)
Abb. 32 
Schwierigkeiten beim Saitenwechsel oder auch beim Aufsetzen großer Barré - Griffe können so beseitigt werden.

Zusammenfassung

Wie am Beispiel der beschriebenen Bewegungen und Bewegungsabläufe deutlich wird, bringt ein Gitarrenspiel in und aus der Bewegung nicht nur bestimmte technische Erleichterungen mit sich, sondern bewirkt auch eine Steigerung des Ausdrucks. Um das Gitarrenspiel mit Bewegungen zu koordinieren ist es hilfreich, zunächst Einzelbewegungen mit den dazu passenden musikalischen Motiven, wie kurzen Tonfolgen oder auch Einzeltönen, bewusst einzuüben. Man unterscheidet zwischen homologen, homolateralen und diagonalen Bewegungsformen, die unterschiedliche Wirkung auf das Spielgeschehen haben. Eine "übertriebene", große Ausführung von Bewegungen erleichtert das Erlernen und Bewusstmachen. Eine Verkleinerung und damit auch eine Verinnerlichung und Automatisierung stellt sich meistens von selbst ein, ebenso die Kombination von Einzelbewegungen zu individuellen, harmonischen Bewegungsabfolgen. Es entwickelt sich so eine Art Bewegungsgedächtnis, das in Wechselwirkung mit dem Intellekt tritt; der ganze Mensch ist in Spiel und Ausdruck einbezogen.